Page is Loading

04. Dezember 2023

»Der Mond ist also weg, Gevatter?«

»Er ist weg.«

»Wirklich seltsam! Gib mir mal eine Prise! Du hast einen feinen Tabak, Gevatter! Wo hast du ihn her?«

»Was, zum Teufel, fein?!« erwiderte der Gevatter und klappte die aus Birkenrinde angefertigte und mit einem Stichmuster verzierte Dose zu. »Nicht mal eine alte Henne würde von diesem Tabak niesen!«

»Ich kann mich noch erinnern«, fuhr Tschub in demselben Tone fort, »der selige Schenkwirt Susulja hat mir einmal einen Tabak aus Njeschin mitgebracht. Ach, war das ein Tabak! Ein guter Tabak war das! Was fangen wir nun an, Gevatter? Es ist ja dunkel.«

»Bleiben wir vielleicht zu Hause?« sagte der Gevatter, nach der Türklinke greifend.

Hätte der Gevatter das nicht gesagt, so würde sich Tschub wohl entschlossen haben, zu Hause zu bleiben; jetzt aber stieß ihn etwas, dem Gevatter zu widersprechen. »Nein, Gevatter, wollen wir gehen! Es ist nicht anders möglich, wir müssen gehen!«

Als er das gesagt hatte, ärgerte er sich schon gleich über seine Worte. Es war ihm sehr unangenehm, sich in einer solchen Nacht hinzuschleppen, aber ihn tröstete der Gedanke, daß er es selbst so gewollt hatte und anders handelte, als man ihm geraten hatte.

Der Gevatter zeigte als ein Mann, dem es ganz gleich war, ob er zu Hause saß oder sich draußen herumtrieb, nicht den leisesten Verdruß; er sah sich um, kratzte sich mit dem Peitschenstiel die Achseln, und die beiden Gevattern machten sich auf den Weg.

Nun wollen wir sehen, was die schöne Tochter allein treibt. Oksana war noch nicht siebzehn Jahre alt, als schon beinahe in der ganzen Welt, wie diesseits von Dikanjka, so auch jenseits von Dikanjka, die Leute von nichts anderem sprachen als von ihr. Die Burschen erklärten einstimmig, daß es ein schöneres Mädel im ganzen Dorfe niemals gegeben habe und auch niemals geben werde. Oksana wußte und hörte alles, was über sie gesprochen wurde, und war so launisch, wie es einem schönen Mädchen geziemt. Hätte sie nicht den Rock und die Jacke einer Bäuerin, sondern irgendein städtisches Morgenkleid getragen, so würde bei ihr wohl keine einzige Zofe aushalten können. Die Burschen liefen ihr scharenweise nach; sie verloren aber die Geduld, verließen einer nach dem anderen die eigensinnige Schöne und wandten sich anderen, weniger launischen Mädchen zu. Nur der Schmied allein war eigensinnig und gab seine Bemühungen nicht auf, obwohl sie ihn nicht besser als die anderen behandelte. Als der Vater gegangen war, putzte und zierte sich Oksana noch lange vor dem kleinen Spiegel im Zinnrahmen und konnte sich gar nicht genug bewundern.

»Warum ist es den Leuten bloß eingefallen, zu verbreiten, daß ich hübsch sei?« sagte sie gleichsam zerstreut, nur um über irgendwas mit sich selber zu plaudern. »Die Leute lügen, ich bin gar nicht hübsch.«

Aber das frische, lebhafte, kindlich jugendliche Gesicht mit den glänzenden schwarzen Augen und dem unsagbar angenehmen Lächeln, das die Seele versengte, bewies ihr plötzlich das Gegenteil.

»Sind denn meine schwarzen Brauen und Augen«, fuhr die Schöne fort, ohne den Spiegel fortzulassen, »wirklich so schön, daß es nicht ihresgleichen auf der Welt geben soll? Was ist denn an dieser Stumpfnase so hübsch? Was an den Wangen, an den Lippen? Sind denn meine schwarzen Zöpfe wirklich so schön? Ach, man könnte vor ihnen am Abend erschrecken: sie winden sich wie lange Schlangen um meinen Kopf. Jetzt sehe ich, daß ich gar nicht hübsch bin!« Sie rückte den Spiegel etwas von sich fort und rief: »Nein, ich bin schön! Ach, wie schön! Wunderbar! Welch eine Freude bringe ich dem, dessen Frau ich werde! Wie wird mich mein Mann bewundern! Er wird vor Freude ganz außer sich sein! Er wird mich zu Tode küssen.«

»Ein wunderliches Mädel!« flüsterte der Schmied, der leise eingetreten war. »Sie ist so gar nicht eitel! Eine ganze Stunde steht sie vor dem Spiegel, kann sich gar nicht sattsehen und rühmt sich dabei ganz laut!«

»Ja, ihr Burschen, passe ich denn zu euch? Schaut mich nur an«, fuhr die hübsche Kokette fort. »Wie schwebend ist mein Gang. Mein Hemd ist mit roter Seide gestickt. Und was für Bänder habe ich auf dem Kopfe! Euer Lebtag werdet ihr keine so schönen Tressen sehen. Das alles hat mir mein Vater gekauft, damit mich der schönste Bursche der Welt heiratet.« Sie lächelte, drehte sich um und erblickte den Schmied . . .

blank
Blick auf die “blaue Stadt” Chefchaouen im Rifgebirge, Marokko

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

blank
blank
blank
Follow Me
blank
Skype
Whatsapp
blank