Der wahre Geist der Weihnacht – Teil 5
Dann schaute ich selig meiner Frau zu, wie sie das sündhaft teure Geschenk vom Juwelier aufmachte. Und stirnrunzelnd anstarrte. „Was ist los?“, fragte ich. Ihr Blick war nicht halb so dankeserfüllt, wie ich es erwartet hatte. „Ich habe die Kette gesehen und gedacht, die steht dir perfekt!“ „Eben!“, sagte sie. „Wieso eben?“
„Ja, schaust du mich denn überhaupt nicht an?“ Sie deutete auf die Kette, die sie gerade um den Hals trug. „Kommt die dir bekannt vor?“ In der Tat war eine gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden Ketten zu erkennen. „Du hast mir die Kette schon letztes Jahr geschenkt!“
Im selben Moment ging mir ein Licht auf. Ging uns ein Licht auf. Mein Bruder hatte im Keller den Sicherungskasten gefunden und der Strom ging wieder.
In der Küche hatte sich unter dem Gefrierschrank eine große Pfütze gebildet, die man jetzt im hellen Licht erst deutlich sehen konnte. Nur die Oma hatte sie, auf dem Weg zum Schlehen-Schnaps nicht gesehen und rutschte einmal quer durch die Küche.
Mit fortschreitenden Heiligabend briet meine Frau, zwei Ketten demonstrativ um den Hals hängend, energisch die Fischstäbchen.
Es stank verbrannt nach frischem Acrylamid und als wir endlich alle gemeinsam beim Essen saßen, rief mich mein guter Freund aus Italien an. Da ich ihn darum beneidete, dass er alleine Weihnachten feiern durfte, verbrachte ich den restlichen Abend mit ihm, tröstete ihn und zerstreute alle seine Ängste.
Als ich Stunden später wieder in die leere Weihnachtsstube zurückkehrte, waren alle weg. Die Kinder schliefen schon, im Fernseher flimmerte Loriot und nur noch die Geschenkpapiertürme erzählten vom Heiligabend.
„Was habe ich verpasst?“, fragte ich. Meine Frau schaute mich selig lächelnd an. Sie zupfte an ihren beiden Ketten und seufzte: „Das war der schönste Heiligabend aller Zeiten.“
Hä? Ich hatte zwar keine Ahnung, wie das noch passiert war. Aber ich dachte daran, dass es ja erst so richtig Weihnachten ist, wenn möglichst viel schiefgeht. Ich lächelte und stimmte ihr zu. „Ja, dieses Jahr habe ich ihn wirklich gespürt, den wahren Geist der Weihnacht.“