Hallo liebe Leser,
Langsam nähert sich dieser Adventskalender dem Ende. Die nächsten drei Tage gibt es noch ein schönes Märchen von Theodor Colshorn. Das Märchen “Die gläserne Kugel” hat zwar nicht direkt etwas mit Weihnachten zu tun, ist aber sehr schön geschrieben.
Die gläserne Kugel – Teil 1
Es war einmal ein König, der hatte seine Gemahlin sehr lieb, und die Königin liebte ihn von ganzem Herzen wieder; sie hatten aber kein einziges Kind, und darüber waren sie traurig.
Nun begab sich’s eines Tages, dass der liebe Gott ihr Bitten erhörte und der Königin einen kleinen Sohn schenkte; die Kammerfrau aber, die eine böse Hexe war, bemalte und bewickelte ein Stück Holz wie ein Kind, legte es in die Wiege und brachte den Prinzen in eine Fischerhütte.
Als der König hereinkam, um seine Gemahlin und seinen Sohn zu begrüßen, fand er das Stück Holz, schüttelte mit dem Kopfe und ging traurig wieder fort; die Königin aber weinte und wäre fast gestorben vor Schreck.
Nach einem Jahre bekam sie wieder einen kleinen Sohn, und diesmal legte die Kammerfrau ein Bund Schwefelhölzer in die Wiege, während sie auch diesen Prinzen in die Fischerhütte brachte.
Der König wurde nicht nur traurig, sondern auch zornig, und die Königin rang lange mit dem Tode.
Wieder nach einem Jahre gebar sie einen dritten Sohn, und als der König hereinkam und statt eines Kindes eine Bierflasche fand, welche die boshafte Kammerfrau in die Wiege geschoben hatte, da ergrimmte er und ließ die Königin durch einen Jäger ins Gefängnis abführen.
Des freute sich die alte Hexe und hoffte, nun solle ihre Tochter Königin werden; das gelang ihr aber nicht, da der König trauriger war als seine Gemahlin, die sich ihrer Unschuld tröstete, so kümmerlich es ihr auch im Kerker ging.
Unter der Zeit wuchsen die drei Prinzen in der Fischerhütte heran und meinten, sie wären die Söhne des alten ehrlichen Fischers, und als dieser starb, weinten sie, als wenn ihr rechter Vater gestorben wäre, erbten dankbar sein Vermögen, das aus der ärmlichen Hütte, aus Netzen und Angeln bestand, trieben sein Handwerk nach wie vor und waren ehrlich und fleißig und deshalb heiter und guter Dinge.
Eines Tages, als die beiden ältesten Netze flickten und der jüngste die Küche hatte, trat ein Greis in die Hütte, das war ein Zwerg, und sagte: “Habt ihr nicht Lust, die arme Königin zu erlösen?” und erzählte ihnen deren Leidwesen, wie der König sie verstoßen habe und nun meine, sie sitze in einem ordentlichen Gefängnis, wie aber die böse Kammerfrau sie mit hartherzigen Kriegsleuten umgeben habe, die sie fortwährend peinigen müßten.
Das rührte ihr gutes Herz, und obgleich alle drei hinwollten, so ließen sie doch dem ältesten den Vorrang. “Ich gehe hin”, sprach er, und der Greis gab ihm ein Pferd und eine gläserne Kugel und sagte: “Setz dich aufs Ross und reite der Kugel nach; sieh dich aber nicht um, was dir auch widerfahren möge.” Der Prinz versprach es, saß auf und folgte der Kugel, die in stetem Laufe vor ihm hin rollte; der Zwerg aber war plötzlich verschwunden.