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19. Dezember 2024

Der wahre Geist der Weihnacht – Teil 4

Mit Einbruch der Dunkelheit kamen die Oma und die Verwandtschaft. Bald musizierten die Kinder und spielten die schönsten Weihnachtslieder auf ihren Blockflöten, der Gitarre und dem Schlagzeug. Wobei die Blockflöten und die Gitarre zum Glück kaum zu hören waren, weil mein Neffe nicht leise Schlagzeug spielen kann. Gut zu hören war leider der Gesang. Die Kinder hatten einige Lieder umgedichtet. So schrien sie aus voller Kehle statt Leise rieselt der Schnee „Leise bieselt das Reh“.

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Als Oma fragte, wann es endlich Alkohol gäbe, weil das alles nüchtern kaum auszuhalten sei, holte meine Frau den Wasserkocher aus dem Keller. Alle Herdplatten waren belegt und sie meinte, so den Glühwein am besten aufwärmen zu können. Was wir nicht wussten war, wie alt der Wasserkocher war und, dass man alte Wasserkocher nicht an die Stromversorgung anschließen sollte. Es blitzte einmal weihnachtlich auf, danach war es dunkel. Gut, dass so viele Kerzen brannten.

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Da jetzt sowieso alles egal war, ging ich nach oben, brüllte die Kinder an, sie sollen „Stille Nacht“ etwas leiser spielen und danach nach unten kommen. Das Christkindl hätte nämlich schon die ganze Zeit verzweifelt versucht, das Glöcklein klingeln zu lassen, aber niemand habe bei dem Krach etwas gehört. Als wir uns alle vor der Tür zum Weihnachtszimmer versammelten, klingelte mein Telefon. Es war die Nummer des Italieners, mit dem ich heute zusammengestoßen war.

Alle schauten mich empört an. „Ich muss da rangehen!“ Ich schloss mich im Klo ein und hörte mir die Klagen des Italieners an, dass er völlig hilflos sei, dass die Versicherung ihn nicht verstehe, dass er ganz alleine Weihnachten feiern müsse und es das jetzt wirklich das schlimmste Weihnachten aller Zeiten sei. Ich sagte zu, dass ich für ihn bei der Versicherung anrufen würde. „Jetzt bitte!“, sagte er. Ich gab nach. Nach einer Dreiviertelstunde in der Warteschleife sagte mir die nette Dame von der Versicherung, dass längst alles geklärt sei. Das hätten sie dem Italiener auch gesagt. Er hätte sie nur nicht verstanden.

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Die verspätete Bescherung lief ab, wie jedes Jahr. Das jüngste Kind, das am schlechtesten lesen konnte, las die Weihnachtsgeschichte so langsam vor, dass die anderen Kinder mindestens fünf Mal heulend forderten, endlich die Geschenke aufmachen zu dürfen. Danach sangen wir zusammen so schief wir nur konnten „Stille Nacht Heilige Nacht“ und, wie jedes Jahr, bekam die Frau von Onkel Chris einen Lachkrampf, als es hieß „Christ der Retter ist da.“

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Danach stürzten sich die sieben Cousins und Cousinen mit Geschrei auf die Geschenke, zerfetzten, zerrissen, die Pakete, zeterten und jubilierten, je nach Größe und Inhalt der Pakete.

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Müllberge türmten sich, neidische Blicke häuften sich und als das Chaos am lautesten war, nahm ich meine Frau beiseite und holte das Päckchen vom Juwelier hervor. Als ich es ihr überreichen wollte, klingelte schon wieder das Handy. Der Italiener. Sollte ich nochmal hingehen? Ich ging hin, beantwortete seine Fragen, erklärte ihm, dass ich ihn nicht betrügen wolle, dass ich kein Mitglied der Mafia sei und, dass es ganz normal sei, dass an Heiligabend Werkstätten keine Autos reparierten, und es in Deutschland auch unüblich sei, dass Versicherungen Großbeträge per Paypal auf italienische Konten überwiesen. „Frohe Weihnachten!“, wünschte ich ihm.

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