Nikolause – Teil 2
Die Männer aus dem feurigen Ofen mussten durchaus den Eindruck gewinnen, als werde ihnen hier unverhohlene – ja begeisterte Bewunderung zuteil.
Einer von ihnen, dem die Augen ungefähr in gleicher Höhe mit dem Munde saßen, dessen obere Kopfhälfte aber dafür außerordentlich viel Platz zum Denken ließ, philosophierte: “Der Geschmack und die Ansichten dieser Welt scheinen sehr geteilt zu sein. Was von dem einem verlacht wird, wird von den andern bewundert.”
Mit dieser Erkenntnis suchten seine Kameraden – je nach Veranlagung – (d.h.: je nachdem man ihnen die Korinthen in den Kopf gedrückt und dadurch ihren Gesichtern Ausdruck verliehen hatte) fertig zu werden. Die einen mit Humor, die andern mit Pessimismus, die dritten mit dem Grundsatz der allgemeinen Wurschtigkeit. “Was aber mag der eigentliche Zweck des Lebens – des Lebens eines Nikolauses – sein?” grübelte der mit der Denkerstirne weiter.
Er brauchte nicht lange auf die Antwort zuwarten. Die Ladentür klingelte, und herein trat eine Frau in Schürze, Pantoffeln und Kopftuch. “Gewwe Se mer mal sechs Stick von dene Nikkeleese”, sagte sie zur Bäckermeisterin. “Mer muss doch merkke, dass heit Nikkeleesabend is. Awwer von dene große – zu 10 Pfennig.” “Aha!” dachte der Philosoph aus Kuchenteig. “Die Dinge des Lebens werden also verschieden bewertet. Je nach Größe und Umfang – sehr vernünftig!” Er verschwand mit fünf Kollegen in einer Tüte. “Zuhause” wurde er ausgepackt.
“Wie groß ist doch die Welt! Nicht nur einen Geburtsort und einen Kaufladen – nein: auch noch eine Straße und ein “Zuhause” gibt es darin -” dachte er begeistert. Nun verbreitete sich in der Stube ein würziger Duft; Tassen wurden auf den Tisch gestellt und in jede derselben ein Nikolaus hineingesteckt. Recht stattlich nahm er sich doch aus, dieser Kreis von wackeren Kumpanen! Herzerquickend war denn auch die Freude der Kinderschar.
Unser Held wollte gerade ausrufen: “Kameraden – O Gott – das Leben ist doch schön!” da verzogen sich seine drei Münder – oder seine drei Augen – wie man’s nehmen will – und er spürte einen Riss in seiner Kopfhaut. “Ach nein – kurz scheint’s zu sein,” konnte er merkwürdigerweise doch noch denken. “Und der Hunger scheint mächtiger zu sein als die Liebe.”
Hierin hatte er nicht unbedingt recht – glücklicherweise. Denn wenn auch seine fünf Genossen geköpft, gevierteilt oder sonst wie misshandelt und dann aus kannibalische Weise verspeist wurden – er kam mit einer leichten Verletzung davon.
“Ich will mein Nikkelees doch liewer erst mal dem werkliche Nikkelees heit abend zeige -” sagte seine kleine Besitzerin liebevoll. “Tu des – tu des nur, mei Herzche,” nickte die Mutter. Also ward dem Glücklichen noch eine Galgenfrist beschert. Er benutzte sie natürlich sofort wieder zum philosophieren. “Nur die Gedanken scheinen ewig,” meinte er. –
Nun: Der Abend kam, und der wirkliche Nikolaus kam. Er betrachtete sein Kuchen-Konterfei – lange und prüfend; und schüttelte dann sein ehrwürdiges Haupt.
Plötzlich aber hellte sich die Miene des wirklichen Nikolaus auf. “Ich armer Nikolaus – soll ich schon klagen?” rief er aus. “Du lieber Gott – – – was musst du erst alles an deinen Ebenbildern erleben!